Den hektischen Frankfurter Hauptbahnhof lasse ich hinter mir und suche Orientierung am Smartphone. Aus der Perspektive eines Zufußgehers ist es schon recht spät am Tage. Der Himmel hält sich bedeckt – wie meine Wanderstimmung. Wird es regnen?
Seit Wochen fiebere ich dieser Wanderauszeit entgegen. Doch statt Freude zu empfinden, fühle ich mich ungenügend vorbereitet, angreifbar, verletzlich und obdachlos. Letzteres stimmt nur halb. Mein Zuhause aus dünnem Stoff trage ich im Rucksack mit mir. Wie das berühmte Schneckenhäuschen. Wobei der Schildkrötenvergleich mir besser liegt. Ich bin flott unterwegs, nicht im Schneckentempo. Und wie die Schildkröte habe ich gerne etwas Sonnenschein, keinen Regen, den die Schnecke liebt. Bald, wenn es dunkel ist, werde ich das Zelt versteckt im Speckgürtel der Großstadt aufgestellt haben. Klamm und kühl wird es darin sein. Nahe der Zivilisation bin ich vielen Gefahren ausgeliefert – realen und Hirngespinsten. Und die Zeltplane ist eben kein stabiles Schneckenhaus, noch weniger ein massiver Schildkrötenpanzer. Fraglich ist, ob ich es vor Einbruch der Nacht in ein unbebautes Gebiet schaffe, wo die Unterkunft aus Stoff unbehelligt steht.
Sicherheitshalber konsultiere das Handy.
Für 49,40 EUR schlägt mir die Buchungs-App ein Hotelzimmer vor. Nicht unerreichbar fern, ja fast an der Strecke, die ich am Computer ausgesucht hatte.
Die Übernachtung liegt im Budget, weil mir die Mitfahrt bis Darmstadt im Auto meines Nachbarn stolze 80,– EUR für das Zugticket gespart hat.
Ohne weiter nachzudenken, buche kurzerhand und freue mich.
Erst wie die Landschaft Kilometer um Kilometer ländlicher wird, keimt Zweifel auf. Hätte es hier und dort nicht Gelegenheit geben, das Zelt unbemerkt aufzustellen? Den Gedanken wegwischend freue ich mich diebisch auf das Zimmer.
Der Bericht über die fatalen Folgen eines kurzen Abstechers ins Gehölz abseits des Wanderweges von Hund aber auch Herrchen (oder Wanderer), ließ mich zum ersten Mal an der Praxis zweifeln, mein Zelt im Wald aufzubauen.
Nur ein paar Schritte tiefer im Forst mag das Nest eines Bodenbrüters sein, den ich aufschrecke und der niemals wieder zu seinem Nistplatz zurückkehrt. Natürlich achtete ich darauf, nicht in einem Naturschutzgebiet zu schlafen, entfachte nie und nirgends ein Feuer, noch trampelte ich (absichtlich) Pflanzen nieder. Und dennoch: Insbesondere in der Brut- und Setzzeit der Wildtiere (1. April bis 15. Juli), ist das Wildzelten keine gute Idee für jemanden, der sich als Natur- und Tierschützer versteht. Das denke ich und frage mich nochmal: Wohin hat sich nur der Wildcampabenteurer verkrümelt? Ist das hier nicht der billige Relativierungsversuch meiner Hotelübernachtung? Bin ich ängstlich und bequem aber unwillig, es mir einzugestehen?
Zwei Hotelnächte will ich mir gönnen. Um in den Wanderfluss zu kommen. Insgeheim ist mir aber schon jetzt klar: Keine einzige Nacht werde ich auf dieser Wanderung im Zelt schlafen. Als Kompromiss zwischen Bequemlichkeit und Urlaubskasse setze mir ein Kostenlimit. Mehr als durchschnittlich 50 EUR möchte ich nicht für die Übernachtung bezahlen. Diese Vorgabe und der Wunsch, nicht zu sehr vom Kurs abzukommen, ist eine neue Herausforderung, die nicht minder schwierig ist, als jeden Abend einen sicheren Platz für das Zelt zu finden.
Mein 50-EUR-Ziel werde ich mit einer Differenz von 47 Cent pro Nacht beinahe punktlanden.
von Frankfurt nach Ober-Erlenbach (19,6 km)
Übernachtung im Hotel Erlenbacher Hof in Ober-Erlenbach.
Kosten: 49,40 EUR.
von Ober-Erlenbach nach Großen-Linden (47,1 km)
Übernachtung im SleepySleepy Hotel Gießen.
Kosten: 49,– EUR
von Großen-Linden nach Marburg-Stadtwald (36,85km)
Übernachtung im Mar Hotel in Marburg an der Lahn.
Kosten: 50,48 EUR