Eine Reise ist erst zu Ende, wenn sie erzählt ist.
Im Schlusskapitel stehen noch rund 90 Kilometer zum Abwandern. Die Beine sind im Endspurtmodus, der Kopf denkt nach 500 gewanderten Kilometern schon an nächste Ziele und das Navi dirigiert entlang des Pilgerweges “via Baltica”.
Navigieren mit dem Handy war auf den vergangenen Etappen ab und an abenteuerlich. Z.B. wenn die Wegführung plötzlich am Stacheldraht zur Viehweide oder (schlimmer) zum Militärgelände endete. Jetzt macht sich die Komoot-App einen Spaß daraus alle hundert Meter “bei nächster Möglichkeit geradeaus” zu quaken. Kein Weg rechts, kein Weg links, nicht einmal eine leichte Kurve, die zum Abbiegen verleiten könnte – exakt mein Humor.
Die Einsamkeit, macht sie dir nichts?, werde ich manchmal gefragt. Die Frage verstehe nicht. Denn ich bin ständig beschäftigt in meinem Kopf. Schmiede Pläne, pfeife Liedchen, lasse mich von Navi-Apps foppen und stelle eher nebenbei fest, schon über Stunden keinem Menschen begegnet zu sein.
Schwarze Rehe und Störche sind hier in den Wümmewiesen auch häufiger anzutreffen als Leute. Ebenso Fasane und sogar eine Eule sichte ich. Und natürlich: Kühe.
Parallel wird die Verkehrsführung kurz vor Osterholz-Scharmbeck:
Motorisiert, muskelbetrieben oder zu Wasser. Unnötig zu schreiben, auf welcher Bahn ich mich bewege 😉
Und schließlich erreiche ich die Unterkunft. Die Heizung im Badezimmer trocknet über Nacht meine Socken und Schuhe. Nieselregen und feuchte Wanderwege halten das wohlige Fußgefühl am Morgen kurz. Auf dem Geestplateau sammeln sich neben Regentropfen rund fünfzig Störche.
Reizhusten oder andere Erkältungsbeschwerden hole ich mir glücklicherweise trotz den nassen Füßen nicht. In den Hahnenknooper Moore erzählt eine Tafel am Weg von Anni Glöde. Mit Wurzeln, Kräutern und Beeren heilte sie solche Krankheiten. Der Neid der Anwohner (auf Annis Selbständigkeit) führte 1782 zu ihrer Anklage und Hinrichtung als “letzte Hexe”.
Tatsächlich und ohne Hexenzauber lässt der Regen nach, die Füße trocknen und ich erreiche bei Sonnenschein und rund 50 Kilometern in den Füßen das Ortsschild Bremerhaven.
Für die letzten Kilometer lasse ich mir Zeit. Ich versuche mich in die Stimmung des Loswanderns in Frankfurt zurückzufühlen. In meinem Kopf verschwimmen die Einzelerinnerungen wie Wasserfarben ineinander und werden zu einem warmen Gefühl in der Brust:
Stolz auf das Erreichte.
Vor ein paar Wochen habe ich mir am Schreibtisch das 595 Kilometer entfernte Auswandererdenkmal als symbolisches Ziel meiner Sommerwanderung auserkoren, nachdem ich im Geschichtsbuch der Gemeinde gelesen hatte, dass einige Menschen aus meinem Heimatort von hier aus in die Vereinigte Staaten ausgewandert sind. Ihre Reise begann in der Hafenstadt. Meine ist mit Ankunft am Monument auserzählt und vorerst (?) zu Ende.
von Sottrum nach Osterholz-Scharmbeck (42,64 km)
Übernachtung in der FeWo Stadtpark. Kosten: 40 EUR
von Osterholz-Scharmbeck nach Bremerhaven (50 km)
Übernachtung im Havenhostel Bremerhaven.
Kosten: 62 EUR
Gesamtstrecke: 595 Kilometer
14 ½ Wandertage (∅41 KM/Tag)
Übernachtungskosten: 770 EUR (∅51 EUR/Nacht bzw. ∅1,29 EUR/KM 😉 )
1 Paar Wanderschuhe
2 Wanderhemden (Merino)
2 Wanderhosen
2 x Unterwäsche (Merino)
4 Paar Wandersocken (2 Paare übereinander getragen)
1 Schlafanzug (Merino)
1 Satz “Ausgehkleidung” für die Restaurants und die Zugfahrt nach Hause