Mit dem Zug nach Rothenburg ob der Tauber gereist, wandere ich auf dem Frankenweg zurück nach Hause. Im letzten Artikel habe ich von den beiden ersten Wandertagen der Frankenweg-Wanderwoche berichtet. Woran es liegen könnte, dass Wanderer vorzeitig abbrechen, erzähle ich weiter unten.
Das leichte Gewitter in der frühen Nacht brachte Regen. Durch den Lüftungsschlitz der nicht abgespannten Plane sickerte Wasser – mein Schlafsack sog es gierig auf. Wegen der dezenten Schräglage meines Schlafplatzes rutschte ich immer wieder von der Luftmatratze. Und trotzdem fühle ich mich im Morgengrauen erholt, aber nicht sorgenfrei: Werden meine Schlafsachen bis zum Abend trocknen?
Mit der Laune steht es nicht zum Besten. Die Nebelfetzen und das auf mich von den Zweigen herabtropfende Regenwasser schlagen mir aufs Gemüt. Die Wegmarkierung des HW8 zeigt in den Wald – ich folge brav. Die Gurte des schweren Rucksacks sägen sich in meine Schultern. Der Naturpfad wird schmaler und enger, endet undurchdringlich vor einem Brombeermeer. Fluchend suche ich tiefer im Wald einen Weg daran vorbei. Umkehren kommt nicht in Frage. Endlich treffe ich auf einen Schotterweg, der als Frankenweg markiert ist. Wie kann das sein? Bin ich vorhin einer alten HW 8-Variante gefolgt, dessen Markierung nicht proper entfernt wurde? Wer weiß. Einige Schritte weiter lotst der rote Balken wieder in den Wald. Ich weigere mich, folge lieber dem breiten Forstweg, der laut meiner App später zurück auf den Frankenweg gelangen wird.
Um 10.00 Uhr (16.016 Schritte) komme ich in Künzelsau an, damit ist die erste Etappe heute erledigt. In einer Bäckerei mit Sitzgelegenheit frühstücke ich – nach Angabe von Name, Adresse und Kontaktmöglichkeit – einen großen Kaffee, Mozzarella Panini, Apfelschorle und einen Nussbogen. Das alles für genau 10,– EUR. Zu gleichem Geld habe ich gestern in Langenburg nur 4 Liter Wasser bekommen 🙂
Laut dem Wanderbüchlein* führt die nächste Etappe bis Waldenburg. Das sind weitere 24 Kilometer in geschätzt sieben Stunden. Das reichhaltige Frühstück konnte meine Stimmung nicht arg heben. Die rechte Schulter schmerzt, die Socken sind durch die Querwaldeineskapaden nass und neben mir steht ein Rucksackmonster, das bald wieder auf den Rücken klettern und sich mit seinen Riemen in die Schultern beißen wird. Aber wie war das mit der Zuversicht? Genau, lernen wollte ich sie! Ich wasche mir in der Bäckereitoilette das Gesicht. Endlich stiehlt sich ein Grinsen hinein. „Weiter geht’s!“, feuere ich mich selbst an.
Nach Künzelsau (den schweren Anstieg des Galgenbergs bereits geschafft) gesellt sich ein Mittagsspaziergänger ein kurzes Stück zu mir. Mal jemand, der gerne wandert! „Ist das die Vorbereitung auf eine längere Pilgerreise?“, fragt er mich. Als ich verneine, empfiehlt er mir den HW 1, den Albsteig. Der sei traumhaft schön. Er müsse es wissen, denn er sei auf der schwäbischen Alb aufgewachsen. Klein ist die Welt …
13:50 Uhr, 29.902 Schritte. Das tiefe Tal der Kupfer habe ich gerade durchschritten. Den Hügel hinauf lagern unfassbar viele von einem Sägewerk zu Bretter verarbeiteten Stämme. Zwischen den Bretterstapeln entstehen Hohlräume. Eine Nacht im Schlafsack in den Lücken kann mir gut vorstellen – ich möchte aber noch weiter heute. Bis Neuenstein bleiben sieben Kilometer. Ich nasche die Supermarktbirnen. Das süße Obst hebt die Stimmung! Gierig befördere ich gleich alle vier in den Bauch.
Bisher habe ich weder eMails gecheckt noch Kopfhörer auf die Ohren gepackt. Nur ge-WhatsApp-t habe ich eben. Im “Einnorder”-Chat (Gruppe der angehenden Wanderführer) ist die Prüfungsaufgabe Thema. U. & Co. haben sie heute per eMail erhalten. Das Email-Fach meiner schwäbischen Albverein-Adresse kann ich von unterwegs nicht abrufen. Schade! Denn neugierig bin ich schon, welche Aufgabe ich in der Prüfung bewältigen soll …
Für das Mimimi-Protokoll: Trotz des frischen Paar Socken, fühle ich eine kleine Blase am Zeh. Dafür ist der Schmerz im Daumen etwas weniger heftig …
14:10 Uhr. Weiter.
43.548 Schritte, bald 17:00 Uhr. Nun ist es auch mir passiert. Zwei Kilometer bin ich im Kreis gelaufen, weil ich ein Wegzeichen übersehen habe. Gewundert habe ich mich über die steigende Kilometeranzahl auf den Wegweisern nach Neuenstein schon. Aber dass ich mal auf die App geschaut hätte … Das Tagesziel Waldenburg werde ich somit nicht erreichen und, wie an jedem Wandertag um diese Tageszeit, gelangt die Frage in mein Bewusstsein: Wo schlafe ich heute Nacht? Das ist beinah das größte Abenteuer an einer Wanderung wie dieser. Gefolgt vom Glücksgefühl, das mich ereilt, wenn die Morgendämmerung einsetzt und ich langsam aus dem Schlafsack krieche, der Grusel der Dunkelheit überstanden ist. Und obwohl ich mir fast jeden Morgen für die kommende Übernachtung ein Pensionszimmer wünsche, sind es doch die ungeschützten Nächte im Freien, die das Unternehmen mit Spannung füllen.
Am Ortseingang von Neuenstein gibt es einen Supermarkt. Ich finde ein sonniges Plätzchen auf dem Parkplatz und lasse mir das frisch gekaufte Abendessen schmecken: 400 Gramm Hüttenkäse, 250ml Ayran und 400 Gramm Cocktailtomaten. Das reicht für heute. Den Proviant an Fertigreis im Ungetüm, das ich mit mir herumschleppe, rühre ich nicht an. So wird er nicht leichter …
20:11 Uhr; 37 Kilometer habe ich auf der Uhr. Bis Waldenburg bleiben ca. 4 Kilometer, wenn überhaupt. 51.297 Schritte bin ich heute gegangen. Bin zufrieden. Nur das Packen am Abend nervt, weil der Schmerz im Daumen zurück ist. Ich brauche fast eine Stunde, bis mein Nachtlager eingerichtet ist, die Zähne geputzt sind, ich mich mit Feuchttüchern abgerubbelt habe und in die bequemen Schlafklamotten geschlüpft bin. Ich schlafe heute in einem Häuschen, das (vermutlich) Kinder aus dünnen Stämmen und Ästen gebaut haben. Und das beste: Mein Schlafsack ist trocken, weil er kurz in der Abendsonne abhing.
Eine ehrliche Dankbarkeit breitet sich in mir aus. Auch heute habe ich wieder einen Platz gefunden, der mich schützt. DANKE (an wen immer), für das stete Fügen 🙂
Fortsetzung folgt …
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