Farbenfroh grüßt mich die Natur an diesem Morgen: Weite Felder, umfriedet von dunkelgrünen Pinien und Eichen. Die Erde ist fast schwarz, die Wege sandig und grau, ein beige-brauner Feldhase duckt sich in die gelben Strohstoppel, bis ich vorüber bin. Die Erika tupft den Waldrand violett.
Trotz farbigem Start, zäh ist der Tag letztlich doch. Der Genuss am Wandern tritt hinter den Zweck zurück: Ich möchte die Linie meines Wandermosaiks komplettieren. Dafür muss ich nach Eversen. Die Wanderapp findet für dieses Zwischenziel selten eine Alternative zur Bundesstraße 215. Und falls doch, haben die Wege eines weiterhin gemeinsam:
Sie sind mit der Schnur gezogen.
Studien behaupten, ein Spaziergang auf naturnahen, von Laub und Nadeln gepolsterten Waldwegen, sei sehr gesundheitsfördernd. Die nahezu staubfreie, sauerstoffreiche und terpenhaltige Waldluft gepaart mit Melodien aus Vogelzwitschern, Insektensummen und Blätterrauschen, sei Balsam für die menschliche Seele. Das sogenannte Waldbaden minimiere Stressempfinden und reguliere Blutdruck, Herzschlag und die innere Ruhe auf ein gesundes Maß.
Schon vor dieser Etappe war ich von der Heilkraft des Waldes überzeugt gewesen. Im direkten Kontrast zu den hart asphaltierten Geh- und Fahrradwegen entlang der B215 mit dem Motorenkrach und den von Feinstaub und Abgasen geschwängerten Fahrtwinden, fällt mir der aufkommende Wanderstress besonders auf.
Wo immer möglich, nehme ich deshalb einen Umweg in Kauf und ziehe die weniger befahrenen Feldwege vor.
Am Abend erreiche ich Dörverden. Abseits der Bundesstraße 215 setzt der Ehmken Hoff die Besucher in der Zeit zurück. Die historischen Bauernhöfe geben einen Blick in vergangene Tage. Irgendwo hier lasse ich beim Photographieren meinen Sonnen- bzw. Regenschirm versehentlich zurück. Ich werde ihn auf meiner restlichen Reise vermissen.
Übernachtung im Hotel-Restaurant Pfeffermühle
Kosten: 60,50 EUR
Auch nach Dörverden geht die Wanderung weiter auf schnurgeraden, meist asphaltierten Straßen.
Hier und dort durchbricht der Tourismus mit originellen Highlights die Monotonie des Weges: Wenn Brett vor dem Kopf, dann Windmühle vor Augen.
Verden – altsächsisch für “Furt”, ist der erste größere Ort, den ich durchschreite. Im Vergleich zum imposanten Rathaus wirkt der Dom aus der Ferne besehen recht profan.
Die Häuserfassaden in Verden sind herausgeputzt und mir eine willkommene Frühstückskulisse. Vor dem Rathaus auf einer Bank gönne ich mir Kaffee und süße Stückchen, bevor es zurück auf die schnurgeraden Straßen geht. Ich wiederhole mich, aber es ist wirklich zäh.
Geschafft! Ein bärtiges Lächeln am Ortsschild feiert das Zwischenziel. “Das mit den Selfies üben wir noch!”, kommentiert eine Freundin das Foto in der Whatsapp-Gruppe. Dennoch:
Eversen ist erreicht.
Damit habe ich Deutschland von Sylt bis Sternenfels durchwandert!
Nach Eversen verlasse ich endlich die Bundesstraße und komme in das Örtchen Ahausen – früher waren hier die Steinsetzer zuhause. Bis nach Bremen hinaus bestand Nachfrage nach diesen Pflaster-Fachleuten. Ein Beruf der an Bedeutung verloren hat, wie meine Füße in den letzten Tagen schmerzlich erfahren. Die Straßen tragen heutzutage kaum mehr Kopfstein, sie kleiden sich modern in glattem Asphalt.
Bald überquere ich das Hassendorfer Wehr und bin zurück in der Natur. Der Bau ist ein Industriedenkmal. Früher staute er hier die Wümme und schwemmte Nährstoffe in die Wiesen.
Ich bin wieder versöhnt mit dem Wandern und freue mich auf die verbleibenden Wandertage.