Blutsauger, eine Migrantin, ein Reisoverkill und Gewissensbisse, das sind die Themen dieses Posts. Außerdem zähle ich sechs Dinge auf, die ich unterwegs gelernt habe. Und worin unterscheiden sich eigentlich die SAV-Wege und die Fernwanderwege? Wenn du vorher lesen möchtest, was in den ersten Wandertagen der Frankenweg-Wanderwoche passiert ist, findest du hier die vorherigen Artikel (Teil 1, Teil 2).
6:53 Uhr; 140 Schritte.
Die Morgenroutine wird einfach nicht schneller. Eine Stunde braucht es, bis ich abmarschbereit bin. Zumindest wünsche ich mir für die kommende Übernachtung keine Pension. Denn in Summe war der Schlaf in der Stöckchenhütte recht erholsam, abgesehen von den paar Stressschüben die mich überkamen, wenn es hier und dort undefinierbar raschelte, knackte oder piepste. Heute Morgen möchte ich den Rest nach Waldenburg wandern und nach einer Möglichkeit suchen, meine Wasserreserven aufzutanken.
Ich erinnere mich an den Tipp der Weitwanderin Christine Thürmer*:
Friedhöfe mit ihren Wasserhähnen retten vor dem Verdursten.
In Waldenburgs Friedhof fülle ich also meine Flaschen auf. Leider finde ich nirgends ein Kässchen für eine kleine Spende.
Mit vier Kilo Friedhofswasser auf dem Rücken ziehe ich weiter. 14 Kilometer bis Untersteinbach – den Ort voller Jugenderinnerungen.
9:13 Uhr; 10.137 Schritte. An einem See bei Obersteinbach löffle ich zum Frühstück eine Tüte Fertigreis. Wahrlich kein Hochgenuss. Zum Thema Proviant werde ich noch eine hausgemachte Lösung suchen.
Unter meiner Laufuhr hat sich die erste Zecke der Wanderung festgesaugt. Zwei weitere sammle ich von mir herunter, ehe sie zustechen. Diese Biester jagen mir hier draußen in der „Wildnis“ die größte Angst ein. Gegen FSME-Viren kann man sich impfen, was ich getan habe. Zum Fürchten bleiben die Borrelien, gegen die es bei uns in Europa keinen Impfstoff gibt.
Die Sonne scheint. – Die Schuhe sind nass. Der Plan war, mein Schlauchtuch zur Erfrischung in den Bach zu tauchen. Stattdessen stolperte ich unter dem Gewicht des Rucksacks komplett ins Wasser. Erst mit dem einen Fuß, der Rest folgt prompt. Erfrischt bin ich! Jetzt heißt es auf Blasen achten: Ich wechsle zu den gestern getragenen Socken und lege mir ein frisches Paar nach oben in den Rucksack, für wenn die Schuhe trocken sind. Bei dieser Gelegenheit wische ich mir eine Zecke vom Bein – schon wieder so ein Biest!
11:40 Uhr; 20.239 Schritte, Freibad Untersteinbach.
Im Biergarten „Steinbacher Tal“ bestelle ich ein alkoholfreies Hefeweizen und schlüpfe in die Badelatschen. Pizza und Pommes brauchen noch. Da bleibt Zeit den coronakonformen Einlass in das Bad zu beobachten. Zettel oder Smartphones werden zum Abscannen vorgehalten, ehe der Weg durch das Drehkreuz freigegeben wird. Wie viel unbeschwerter waren hier die Sommer meiner Kindheit in den Sportjugendcamps! Die Gegend hat sich verändert. Der Zeltplatz und die Feuerstelle für das allabendliche Lagerfeuer sind verlegt worden, an ihrer statt stehen heute Häuser. Nur das Freibad und der Sportplatz kommen mir vertraut vor.
Mein jüngerer Bruder besuchte einen Sommer lang die Freizeit mit mir. Wie ich daran zurückdenke, überkommt mich ein schlechtes Gewissen. War es richtig, mir diese kurze Wanderauszeit zu gönnen? Um ein paar Tage etwas anderes zu sehen, als meinen immer schwächer werdenden kleinen Bruder in seinem Bett? Auf einmal komme ich mir sehr egoistisch vor. Andererseits ist es schön, diese Kindheitserinnerungen einige Kilometer mit mir zu tragen und über unsere Beziehung nachzudenken.
12.45 Uhr. Nach Pizza, Pommes und einer Tasse Kaffee ziehe ich weiter gen Neuhütten. Das sind laut Büchlein 16 Kilometer und eine Wanderzeit von 4 ½ Stunden.
14:44 Uhr, 27.085 Schritte; gibt es etwas Schöneres, als an einen völlig verschwitzten Körper kühles Nass zu lassen? Und dieses mal ganz freiwillig! Waschen mit Wasser, nicht allein mit Feuchttüchern: Pures Glücklichsein! Das Beerenklingenbächle kommt wie gerufen. Die Riemen meines Rucksackes haben rote Druckstellen an den Schultern hinterlassen und ich überlege, was zu viel ist, im Gepäck. Welch Ding läge nun besser zu Hause? Die Sitzunterlage und der Sonnenschirm* sowie die Badelatschen sind es nicht. Sie leisten mir auf Wanderschaft gute Dienste. Vielleicht habe ich am Ende der Wanderung Klarheit.
Entlang des feuchten Weges beim Bächlein wächst links und rechts das drüsige Springkraut mit seinen rosaroten Blüten. Laut Wikipedia ist dieses Duftwunder eine aus Indien eingeschleppte Pflanze und wird mancherorts bekämpft. Die unzähligen Hummeln scheinen die migrierte Nektarspenderin zu lieben und mich erinnert ihr Duft heimelig an frischgewaschene Kleidung. Bis ich in wohlriechende Wäsche komme, dauert es noch ein paar Tage…
16:27 Uhr, 34.347 Schritte; Pause.
Jetzt aus den Schuhen und die Luft an die verschwitzten Füße lassen! Wieder sammle ich eine Zecke an mir ab.
Es sind noch mindesten 9 Kilometer bis zum Tagesziel. Kürzlich kreuzte ich den zweiten Fernwanderweg des SAV auf dieser Tour, den Limes Weg (HW6). Wenn ich die Karte der Wanderwege richtig im Kopf habe, ist es möglich, über jeden Hauptwanderweg letztlich auf jeden x-beliebigen HW zu gelangen. Denn irgendwo kreuzen sich die Wege immer.
Vorhin behauptete ein Schild, es seien 3,5 Kilometer bis Untersteinbach. Wandere ich also den ganzen Tag doch nur im Kreis?
Hier liegt der Unterschied der SAV-Wege zu den Europäischen Fernwander- und den Pilgerwegen: Bei den letzteren ist das Credo so direkt wie möglich, beim SAV steht Schönheit und Abwechslung im Vordergrund, auch wenn das “Umwege” bedeutet.
Ich gönne mir ob dieser Erkenntnis ein frisches Paar Socken und ziehe weiter.
Ca. 18:45 Uhr, 45.721 Schritte. 34 Tageskilometer, Neuhütten.
Ich notiere 6 Dinge, die ich bislang gelernt habe:
20.30 Uhr. Widerwillig löffle ich eine letzte Tüte Reis. Ein Wind kommt auf. Hoffentlich besucht mich niemand in der Nacht …
Fortsetzung folgt …
Gibt es bei Dir auch Proviant, den Du über hast? Schokolade geht ja immer. Aber was magst du nicht mehr auf eine Wanderung mitnehmen, weil Du es zu oft gegessen hast? Schreib’s in die Kommentare 🙂
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